Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Biografie

Hessen-Darmstadt, Ernst Ludwig Landgraf von [ID = 1335]

* 15.12.1667 Gotha, † 12.9.1739 Jägersburg bei Einhausen Jagdhaus, evangelisch-lutherisch
Komponist, Liederdichter
Biografischer Text

Mit dem Tod ihres Stiefsohns, der den erst zehnjährigen Ernst Ludwig im Sommer 1678 zum Thronerben machte, übernahm dessen Mutter, Landgräfin Elisabeth Dorothea, Erziehung und Vormundschafts-Regierung. Sie hat diese Aufgabe mit Unterstützung des zum Verwaltungschef berufenen Weiprecht von Gemmingen-Hornberg (1642–1702) umsichtig gemeistert. Gemmingen behielt seine Funktionen als Präsident des Geheimen Rats und der Rentkammer auch nach der Übernahme der Regierung durch Ernst Ludwig 1688. Das Folge-Jahrzehnt war belastet durch den Französisch-Pfälzischen Krieg, die notwendige Verlagerung des Hofs in die Festungs- und Universitätsstadt Gießen. Die damit gegebene räumlichen Nähe kam allerdings der freundschaftlichen Annäherung zum wenig älteren Kasseler Vetter Landgraf Karl zugute, die 1697 zu einem in Gießen unterzeichneten neuen gesamthessischen „Haus-Recess“ führte. Folge der Kriegserfahrung war die verbesserte „Armierung“ Hessen-Darmstadts mit der Errichtung des von Schrautenbach’schen Grenadierregiments und des Reiterregiments unter Oberst Johann Rudolf von Pretlack (1668–1737).

Die zum Landesausbau geplanten Maßnahmen, die schon 1695 begonnene Anlage der „Neuen Vorstadt“ in der Residenz Darmstadt und die Ansiedlung der hugenottischen „Waldenser“, konnten erst nach dem 1698 gefeierten „Friedensjubelfest“ voll anlaufen, wurden aber schon wenige Jahre später durch den Ausbruch des Spanischen Erbfolgekriegs erneut unterbrochen. Die Jahre nach dem Tod der Landgräfin Dorothea 1705 nutzte Ernst Ludwig zu ausgedehnten Reisen, mit denen die 1685/86 aus Kostengründen verkürzte Bildungstour nachgeholt wurde. Auswirkungen des auch in Darmstadt wirksamen barocken „Bauwurms“ waren der 1709 begonnene Ausbau der älteren Reithalle zum Opernhaus durch den dazu aus Hannover abgeworbenen französischen Architekten Louis Remy de la Fosse († 1726), die Errichtung einer Reihe neuer Jagdhäuser für die 1708 eingeführte Parforce-Jagd, die Orangerie-Anlage im Vorort Bessungen und der nach schwerem Brandschaden 1715/16 in Angriff genommene, ambitiöse Neubau des Residenz-Schlosses. Die Verweigerung weiterer Steuerbewilligungen durch die Landstände zwang zu Beginn der 1720er Jahre zur weitgehenden Stilllegung des Bauwesens, so dass vor allem das Schloss für fast ein Jahrhundert Bauruine blieb, aber auch zur Aufgabe der Jagd wie des kostspieligen Theaterbetriebs. Die vergeblichen Versuche des Landgrafen, sich durch das Engagement von alchimistischen „Goldmachern“ oder ein dubiöses Goldmünzen-Projekt des „Jud Süß“ Oppenheimer zusätzliches Geld zu beschaffen, dokumentieren die ausweglose Lage. Die morganatische Zweit-Ehe des seit mehr als zwei Jahrzehnten (abgesehen von diversen kurzzeitigen Amouren) allein lebenden Landgrafen mit der ebenfalls verwitweten Louise Spiegel zum Desenberg hat der Popularität Ernst Ludwigs offenbar keinen Abtrag getan. Zu den landesweiten Feiern zum 50. Regierungsjubiläum 1738 gehörte auch der öffentliche Dank der Judenschaft für die von Ernst Ludwig gewährte Toleranz. Nach dem Tod des Landgrafen im Folgejahr ergab die Rechnungslegung der Staatskasse ein für die Nachfolger belastendes Schuldenloch von vier Millionen Gulden; dazu kam ein weiteres Minus von zwei Millionen in der Kabinettskasse.

Eckhart G. Franz

(Text identisch mit: Franz, Das Haus Hessen, S. 295 f.)


Literatur