Einzeldatensatz

Behring, Emil Adolf von

* 15.3.1854 Hansdorf, Westpreußen (heute Ławice), † 31.3.1917 Marburg, evangelisch
Prof. Dr. med. – Arzt, Professor, Wissenschaftler, Unternehmer

Weitere Namen

  • Behring, Emil* Adolf
Wirken

Studium

  • 1874 Studium der Medizin an der Militärärztlichen Akademie in Berlin

Akademische Qualifikation

  • 1878 Promotion zum Dr. med. an der Universität Berlin, Neuere Beobachtungen über die Neurotomia opticociliaris

Akademische Vita

  • Halle, Universität · Medizinische Fakultät · Hygiene · außerordentlicher Professor · 1894
  • Marburg, Universität · Medizinische Fakultät · Hygiene · ordentlicher Professor · 1895–1916

Akademische Ämter

  • 1895 Direktor des Hygienischen Instituts der Unversität Marburg
  • 1895 Geheimer Medizinalrat
  • 1901 Dekan der medizinischen Fakultät

Mitgliedschaften

  • Magistratsmitglied in Marburg

Werdegang

  • 1854 Geburt von Emil Adolf Behring am 15. März in Hansdorf, Westpreußen (heute Ławice, Polen), Kindheit in ärmlichen Verhältnissen als fünftes von 13 Kindern
  • Königliches Gymnasium in Hohenstein, Ostpreußen (heute Olsztynek, Polen), Abitur 1874 (humanistisch)
  • 1874–1878 Studium der Medizin an der Pépinière, dem Medicinisch-chirurgischen Friedrich-Wilhelm-Institut in Berlin (1919 aufgelöst), mit Militärstipendium; 1878 Abschluss des Medizinstudiums mit Dissertation auf dem Gebiet der Augenheilkunde
  • 1880 Approbation zum Arzt, 1885 Kreisarztexamen
  • 1878–1886 Militärarzt in Preußen (Wohlau, Winzig und Posen sowie in Bojanowo)
  • Chemische und bakteriologische Studien sowie Forschungen zur Sepsis (Blutvergiftung) und Antisepsis. Erfolgreiche Behandlung von an Diphtherie erkrankten Kindern (Diphtherieepidemie 1883) durch Tracheotomie (Luftröhrenschnitt)
  • 1882 Veröffentlichung der ersten wissenschaftlichen Arbeit
  • 1887 Ernennung zum Stabsarzt, Forschungsaufenthalt am Pharmakologischen Institut (Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn) bei dem Arzt und Pharmakologen Carl Binz, Forschungen zur Antisepsis und Bakteriologie, zu organischer Chemie und Infektionskrankheiten
  • 1888–1889 Stabsarzt an der Pépinière in Berlin und beim Infanterie-Regiment Graf Werder in Berlin
  • ab 1889 wissenschaftlicher Assistent bei dem Bakteriologen Robert Koch am Hygiene-Institut der Friedrich-Wilhelm-Universität Berlin (heute Humboldt-Universität zu Berlin), Forschungen zu Infektionskrankheiten
  • 1890 Entdeckung der Blutserumtherapie: die passive Immunisierung gegen die Infektionskrankheiten Diphtherie und Tetanus (Wundstarrkrampf) gemeinsam mit Shibasaburo Kitasato. Die Veröffentlichung seiner Forschungsergebnisse machte ihn weltberühmt.
  • 1892 Nach Zusammenarbeit mit Paul Ehrlich (Standardisierung, Wertbestimmung der Sera und Erprobung der Sera an Kindern)
  • 1892 Zusammenarbeit mit August Laubenheimer, Direktor der Farbwerke vorm. Meister Lucius & Brüning, Höchst am Main (später Farbwerke Hoechst AG)
  • 1893 Verleihung des Professorentitels ohne Habilitation, 1894 Ernennung zum außerordentlichen Professor an der Universität Halle, Lehre im Fachgebiet Medizin
  • ab 1894 Produktion und Vertrieb des Diphtherieheilserums durch Farbwerke in Höchst am Main
  • 1895 Ordentlicher Professor für Hygiene und Direktor des Hygiene-Instituts der Universität Marburg auf Veranlassung des preußischen Ministerialrats Friedrich Althoff
  • 1896–1915 Forschungen zur Entwicklung eines Impfstoffs gegen Tuberkulose. Herstellung eines Impfstoffs gegen Rindertuberkulose (Bovovaczin), Forschungen zur Milchhygiene
  • 1895 Verleihung des Titels „Geheimer Medizinalrat“ durch Friedrich Althoff
  • 1896 Errichtung eines Privatlaboratoriums auf dem Schlossberg in Marburg (heute Teil des Herder-Instituts, Institut der Leibniz-Gesellschaft, Gisonenweg 5) und erste Serum-Abfüllstation in Marburg am Bunten Kitzel
  • ab 1896 Engagement in der Marburger Kommunalpolitik als Stadtverordneter und ehrenamtlicher Stadtrat
  • 1896 Heirat mit der zwanzigjährigen Else Spinola
  • 1898 Kauf seines Wohnhauses in Marburg („Villa Behring“, heute Wilhelm-Roser-Str. 2)
  • 1898 Gründung des „Instituts für Experimentelle Therapie“ in den Räumen der Chirurgischen Klinik (Pilgrimstein), später Verlegung in die Behringwerke (1927)
  • 1901 Erhebung in den erblichen Adelsstand durch Kaiser Wilhelm II.
  • 1901 Verleihung des erstmals vergebenen Nobelpreises für Medizin
  • 1903 Verleihung des Titels „Excellenz“ als „Wirklicher Geheimer Rat“ durch Kaiser Wilhelm II.
  • 1904 Gründung des Behringwerk-oHG in Marburg
  • 1907 – 1910 schwere psychische Erkrankung mit langem Klinikaufenthalt im Sanatorium Neuwittelsbach bei München
  • 1911 Kauf mehrerer Grundstücke nördlich von Marburg, genannt die „Elsenhöhe“ (heute Wannkopfstraße)
  • 1913 Bau eines Laboratoriums „Unter der Kirchspitze“ in Marburg, Kauf der alten Ziegelei im Marbacher Hinkelbachtal bei Marburg, eines der zukünftigen Werksgebäude der Behringwerke Bremen und Marburg
  • 1913 Entwicklung des ersten Diphtherieschutzmittels T.A. (aktive Immunisierung)
  • 1914 Emil von Behrings 60. Geburtstag: er wird Ehrenbürger der Stadt Marburg
  • zahlreiche nationale und internationale Ehrungen und Orden zu Lebzeiten (47): Patent als Geheimer Medizinalrat (1895), Ehrenmitglied in vielen Gesellschaften (31), Nobelpreis für Medizin (1901), Verleihung des Eisernen Kreuzes II. Klasse am schwarz-weißen Bande (1915).
  • 1914 Gründung der Behringwerke GmbH Bremen und Marburg mit Sitz in Bremen und Marburg. Produktion und Vertrieb von Sera und Impfstoffen in Marburg. Im Ersten Weltkrieg große wirtschaftliche Erfolge der Behringwerke mit den Produkten Tetanusserum, Diphtherieheilserum sowie Tuberkulin und Veterinärsera
  • 1917 Tod Emil von Behrings in Marburg

Netzwerk

  • Schlossberger, Hans <Schüler>

Funktion

  • Marburg, Universität, Medizinische Fakultät, Dekan, 1901

Werke

Familie

Vater

Behring, August Georg, 1819–1886, Lehrer in Hansdorf, Kreis Rosenberg, Westpreußen, verheiratet I. mit Ernestine Jaekel, † 1852, Sohn des Johann Friedrich Behring, * Riesenburg, aus dem Kreis Löbau kommend Lehrer in Granten, Westpreußen, und der Katharina Preuß, aus der Neumark

Mutter

Zech, Augustine, Lehrerstochter

Partner

  • Spinola, Else, (30.8.1876–13.8.1936) Tochter des Bernhard Spinola, Verwaltungsdirektor der Charité in Berlin, und der Elise Charlotte Bendix, Heirat Berlin 1896

Verwandte

  • Behring, Fritz von <Sohn>, Kaufmann (3.9.1898 – 30.4.1966)
  • Behring, Bernhard von <Sohn>, Soldat (27.2.1900 – 21.7.1918)
  • Behring, Hans von <Sohn>, Arzt (14.11.1903 – 24.12.1982)
  • Behring, Kurt von <Sohn>, Gerichtsassessor (8.10.1905 – 16.12.1935)
  • Behring, Emil Karl von <Sohn>, Kaufmann (8.10.1906 – 28.9.1970)
  • Behring, Otto von <Sohn>, Kinderarzt (20.8.1913 – 2002)
Nachweise

Quellen

Literatur

Bildquelle

Universitätsarchiv Marburg, Bildersammlung.

Zitierweise
„Behring, Emil Adolf von“, in: Professorenkatalog der Philipps-Universität Marburg <https://professorenkatalog.online.uni-marburg.de/de/pkat/idrec?id=3989> (Stand: 28.11.2023)
Leben

Emil Adolf Behring wurde am 15. März 1854 in Hansdorf/Westpreußen (heute Ławice, Polen) als fünftes von dreizehn Kindern geboren, sein Vater war Dorfschullehrer1. Er wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf, mit finanzieller Unterstützung des Pfarrers besuchte er das Königliche Gymnasium in Hohenstein/Ostpreußen (heute Olsztynek, Polen). Der kluge Schüler interessierte sich nicht nur für die naturwissenschaftlichen Fächer, sondern auch für Kunst, Geschichte und Philosophie, die humanistische Bildung war für sein weiteres Leben wichtig. Nach dem Abitur (1874) studierte er auf eigenen Wunsch mit einem Stipendium an der Pépinière Medizin. In dieser Zeit schrieb und las er viel, er hielt seine Gedanken zu Medizin, Naturwissenschaften, Literatur, Geschichte, Philosophie in Tagebüchern und Notizen fest. 1878 schloss er sein medizinisches Staatsexamen mit der Promotion ab und arbeitete in verschiedenen Garnisonen (Wohlau, Winzig und Posen sowie in Bojanowo) als Militärarzt.

Als junger Militärarzt (1878–1886) beschäftigte sich Behring insbesondere mit Fragen der Hygiene und der Verbreitung von Seuchen. 1883 erlebte er in Winzig eine heftige Diphtherieepidemie und behandelte viele an Diphtherie erkrankte Kinder erfolgreich durch Tracheotomie (Luftröhrenschnitt). Ein wirksames Medikament dagegen gab es nicht. Das Thema Infektionskrankheiten ließ ihn nicht mehr los, seine Idee war, diese Erkrankung nicht mit chemischen Mitteln, sondern mit organischen Substanzen zu besiegen. Neben seiner praktischen Tätigkeit als Arzt veröffentlichte er 1882 seine ersten wissenschaftlichen Forschungen über das Jodoform, das zu seiner Zeit als Desinfektionsmittel für Wunden verwendet wurde.

Von 1888 bis 1895 arbeitete Behring als Assistenzarzt am Hygienischen Institut der Friedrich-Wilhelm-Universität Berlin (heute Humboldt-Universität zu Berlin) bei dem Bakteriologen Robert Koch (1843–1910) und forschte dort über Infektionskrankheiten. 1890 gelang ihm gemeinsam mit dem japanischen Arzt Shibasaburo Kitasato die bahnbrechende Entdeckung der Blutserumtherapie, das Prinzip der passiven Immunisierung gegen Diphtherie und Tetanus (Wundstarrkrampf). Damit konnten erstmals Immunsera aus dem Blut von Tieren gewonnen werden, die mit abgeschwächten Diphtherie- oder Tetanus-Erregern infiziert worden waren. Das Serum mit den darin enthaltenen Antitoxinen (Antikörpern) wurde erkrankten Menschen übertragen und verhinderte die Ausbreitung der Toxine im Körper der Patienten. Vor 1890 starben im Deutschen Reich viele Menschen an Diphtherie, vor allem Kinder und Jugendliche2. Mit dem Diphtherieheilserum konnte die hohe Sterblichkeit der erkrankten Kinder von ca. 50 Prozent auf ca. 20 Prozent gesenkt werden3. Behring gilt damit als Begründer der Blutserumtherapie, die für die Medizin um 1900 einen wichtigen Fortschritt bedeutete und ihn schnell als „Retter der Kinder“ weltberühmt machte. Dafür bekam er den erstmals vergebenen Nobelpreis für Medizin im Jahr 1901.

Gemeinsam mit dem Arzt und Wissenschaftler Paul Ehrlich verbesserte Behring die Wirksamkeit seines Diphtherieheilserums und stellte es bald nach seiner Entdeckung mit finanzieller Unterstützung der Farbwerke vorm. Meister Lucius & Brüning, Höchst am Main (später Farbwerke Hoechst AG) kommerziell her (1894). Für die Gewinnung dieses organischen Serums setzte er zum ersten Mal lebende Versuchstiere (Pferde und Schafe) ein, was zu jener Zeit eine bedeutende Innovation in der Forschung darstellte. Nach seiner Berufung nach Marburg 1896 richtete er sich auf dem Schlossberg in Marburg ein eigenes Privatlaboratorium sowie das „Institut für experimentelle Therapie“ ein, aus dem sich später die Behringwerke entwickelten. Die Weiterentwicklung der Serumtherapie führte schließlich (1913) zur aktiven Schutzimpfung gegen Diphtherie (T.A.). Dieses Produkt war eine Mischung aus Diphtherietoxin (T) und Antitoxin (A), die beim Patienten eine leichte Reaktion hervorrief, ihn aber nicht krank machte.

Das Tetanusheilserum, sein zweites erfolgreiches Produkt, hatte er bereits 1890 entwickelt und danach mit den Farbwerke vorm. Meister Lucius & Brüning, Höchst am Main (später Farbwerke Hoechst AG) industriell hergestellt (1896). Im Ersten Weltkrieg wurde ab 1915 für alle deutschen Soldaten die vorbeugende Serumtherapie eingeführt, die sowohl als Prophylaxe als auch als Therapeutikum sofort wirksam angewandt wurde. Die hohe Sterblichkeit der Erkrankten konnte dadurch schnell gesenkt werden: 1914 lag die Mortalität um 70 Prozent, 1918 bei zehn Prozent4. Behring erhielt für sein Tetanusheilserum als „Retter der Soldaten“ das Eiserne Kreuz (1915).

Im Gegensatz zu diesen großen Entdeckungen hatte er mit seinen Forschungen zur Tuberkulose (1893–1914) keinen Erfolg, er konnte weder ein wirksames Heilserum noch einen Impfstoff gegen die ansteckende Infektionskrankheit herstellen.

Emil von Behring arbeitete sehr eng mit anderen deutschen Wissenschaftlern (Robert Koch, Paul Ehrlich, Erich Wernicke) sowie international bedeutenden Forschern (dem Japaner Shibasaburo Kitasato, dem Franzosen Émile Roux und dem Russen Ilja Metschnikoff) zusammen. Aus persönlichen und finanziellen Gründen5 trennte sich Behring von den Farbwerke Hoechst und gründete in Marburg zusammen mit den Apothekern Siebert und Ziegenbein seine eigene Firma, das „Behringwerk-oHG“ (1904). Hier konnte er die Produktion und den Vertrieb der Sera selbst organisieren. Ab 1909 war Carl Siebert alleiniger Geschäftsführer, Behring distanzierte sich aus gesundheitlichen Gründen (1907–1910) von der Geschäftsleitung und blieb stiller Teilhaber, Forscher und Bauherr. 1913 gelang ihm mit der Entwicklung der aktiven Diphtherieschutzimpfung noch einmal ein großer Erfolg, 1914 änderte Behring die Rechtsform seiner Firma in „Behringwerke GmbH Bremen und Marburg“. Die kaufmännische Abteilung des Unternehmens war in Bremen, die Produktion blieb in Marburg.

Im Ersten Weltkrieg zeigte sich Emil von Behring schon bei Kriegsbeginn (1914) als Unterzeichner des Aufrufs „An die Kulturwelt!“ zusammen mit 93 anderen Personen des öffentlichen Lebens als Patriot und Befürworter des Krieges6. Bereits zu Kriegsbeginn gab er die goldene Harben-Medaille, welche ihm vom britischen König Edward VII. vom Royal Institut of Public Health für seine „besonderen Verdienste für die Öffentliche Gesundheit“ am 18.8.1909 verliehen worden war, an den Marburger Magistrat zurück7. Die sehr angesehene Medaille im Wert von 50 Guineen und einem Goldwert von 245 g wurde eingeschmolzen und das dafür erhaltene Geld wurde zur Unterstützung der Hinterbliebenen der Kriegsteilnehmer verwendet. Behring bezeichnete „die Deutschen als unbesiegbar“8 und kaufte eine Kriegsanleihe von beträchtlichem Wert9. Obwohl er Militärarzt war, beteiligte er sich am Krieg aufgrund seines Alters (60 Jahre) und seines schlechten Gesundheitszustands nicht. Wirtschaftlich profitierte der Unternehmer Behring vom Ersten Weltkrieg, denn die Behringwerke verdienten in diesen Jahren mit ihren Produkten, vor allem dem Tetanusserum, sehr gut. 1920 wurde die Firma in die „Behringwerke AG“ umgewandelt und die kaufmännische Abteilung nach Marburg verlegt. Die Produktion fand in den Laboratorien statt, der Sitz der Geschäftsleitung befand sich in den 1920er Jahren in der Ketzerbach 11.

Der Standort Marburg war für die Entwicklung der Behringwerke sehr geeignet. Hier in der preußischen Provinz konnte Emil von Behring besonders günstig Grundstücke erwerben, was sowohl die Gründung der Firma als auch deren Expansion ermöglichte. Das kleine Unternehmen entwickelte sich schnell zu einem wichtigen Standort der Pharmazeutischen Industrie im Deutschen Reich und wurde bald weit über die Region Marburgs hinaus bekannt. Anfangs arbeiteten dort zunächst 10 (1904), dann 220 (1924), später ca. 300 (1929) und schließlich 700 Angestellte (1938). Die Behringwerke waren in der ländlichen Universitätsstadt Marburg auch für viele Wissenschaftler ein sehr wichtiger Arbeitgeber und für die Kommune ein bedeutender wirtschaftlicher Faktor.

Diese enge Zusammenarbeit zwischen Universität und Industrie trug wie in anderen deutschen Städten auch in Marburg dazu bei, dass Deutschland international vor dem Ersten Weltkrieg bis in die 1920er und 1930er Jahre in der Pharmazeutischen Industrie eine dominierende Stellung einnahm. Die Sera der Behringwerke, vor allem das Diphtherie – und das Tetanusserum, waren neben dem Antipyrin – dem ersten modernen synthetischen Arzneimittel – ein Meilenstein in der Behandlung von Infektionskrankheiten und verhalfen der deutschen Pharmazeutischen Industrie weltweit zu Beginn des 20. Jahrhunderts zum Ruf der „Apotheke der Welt“10. Die Sera galten als kausale Arzneimittel, welche die Ursachen und nicht nur die Symptome von Krankheiten behoben.

Die Behringwerke wurden nach schwierigen Jahren in der Weimarer Republik von der I.G.-Farbenindustrie AG übernommen (1929), in den 1930er Jahren erlebten sie einen Aufschwung. Im Zweiten Weltkrieg waren die Behringwerke ein kriegswichtiger Betrieb, sie produzierten Sera gegen Tetanus, Gasödem und Impfstoffe gegen Typhus und Fleckfieber. Hier arbeiteten bis Kriegsende mehr als 300 Zwangsarbeiter. Es gilt außerdem als sicher, dass SS-Ärzte im KZ Buchenwald Versuche mit Fleckfieberimpfstoffen der Behringwerke ohne Zustimmung der Häftlinge durchgeführt haben11.

Nach dem Zweiten Weltkrieg und der Entflechtung der I.G.-Farbenindustrie AG gehörte die Firma zur Hoechst AG (1952). Die alten Forschungsstätten der Behringwerke blieben bis 1999 Eigentum der Hoechst AG. Nach der Auflösung der Hoechst AG (1997) gab es mehrere Nachfolgefirmen, darunter die australische Pharmafirma CSL-Behring (Commonwealth Serum Laboratory) mit Plasmaprotein-Biotherapeutika, GlaxoSmithKline plc (bis 1.3.2015 „Novartis“) mit Impfstoffen, Siemens Healthcare Diagnostics Products GmbH mit in-vitro-Diagnostika zu Bluttests und Pharmaserv GmbH & Co. KG (Standortmanagement) (Stand 2016).

1895 wurde Emil Behring Professor für Hygiene und zugleich Direktor des Hygienischen Instituts an der Universität Marburg mit Unterstützung des Ministerialrats Friedrich Althoff. Dieser hatte damit erreicht, dass Behring in Preußen und an der Universität bleiben würde, anstatt ins Ausland zu gehen. Behring lehrte in Marburg Hygiene und Geschichte der Medizin, zeigte aber als Hochschullehrer kein besonderes Engagement. Mit dieser Tätigkeit wurde Behring in Marburg wirtschaftlich sesshaft. Als international erfolgreicher Wissenschaftler konnte er in der Provinz überwiegend selbstbestimmt seinen Forschungen nachgehen, was seiner schwierigen Persönlichkeit sicherlich entgegenkam.

Persönlich fühlte er sich in der Kleinstadt Marburg mit seiner schönen Natur sehr wohl. Durch seine Familie wurde er auch privat in Marburg heimisch und fand hier zudem den Austausch mit anderen Wissenschaftlern. Er selbst bezeichnete sich bereits 1899 „als dauernden Marburger“12. In seiner gesamten Zeit in Marburg (1896–1917) engagierte sich Behring neben seinem Beruf als Arzt, Wissenschaftler und Unternehmer auch als Kommunalpolitiker13. Als Stadtverordneter und ehrenamtlicher Stadtrat setzte er sich hier vor allem für sauberes Trinkwasser und saubere Straßen ein14. 1895–1899 wurde in Marburg die Kanalisation und die Müllabfuhr eingeführt. Behring vertrat in der Stadtpolitik aber auch seine eigenen Interessen, d.h. den Grundstückskauf, den Bau von Laborgebäuden und die Wasserversorgung im Dorf Marbach für seine Firma, die Behringwerke. Politisch war er ein Mitglied des „Konservativen Kreises“15. 1914 verlieh ihm die Stadt Marburg die Ehrenbürgerschaft.

Emil von Behring starb am 31. März 1917 in Marburg, er ist in seinem von ihm selbst geplanten Mausoleum auf der Elsenhöhe in Marburg (im heutigen Stadtteil Marbach) begraben.

Nach dem Tod Emil von Behrings ist sein Name auf vielen Medaillen, Instituten, Straßen und Schulen erhalten. Er ist auf einer Portrait-Medaille von Alexander Kraumann, Frankfurt am Main (1915), auf einem Ölgemälde von Friedrich-Klein-Chevalier (1903) sowie auf einer Radierung von Karl Koepping (1912) abgebildet. Das Gelände der Behringwerke ist heute ein Industriepark gleichen Namens, in dem international agierende Konzerne der Pharmaindustrie wichtige Produktionsstätten unterhalten. Die alten Laboratorien gelten seitdem als Kulturdenkmal, einige Gebäude (Wannkopfstraße 13) werden als private Immobilien genutzt (2013). Die „Behring-Röntgen-Stiftung“ erinnert seit 2006 an den berühmten Arzt, es gibt einen Förderverein Emil von Behring e.V., eine Emil-von-Behring-Schule, eine Emil-von-Behring-Straße sowie aus dem Jahr 1940 eine Steinbüste von Georg Müller (Pilgrimstein 2, Ecke Deutschhausstraße). Vor dem Eingang zur heutigen Firma Novartis (ehemaliges Behringwerk, heute Emil-von-Behring-Straße 76). steht ein lebensgroßes bronzenes Serumpferd nach Louis Tuaillon (1895) in einer Kopie von Harald Haacke (1958). Die „Behring-Route Marburg“ zeigt das Leben und Wirken Emil von Behrings in Marburg in zwölf Stationen (http://www.marburg.de/de/129007). In Ławice (Polen) erinnert in der Dorfschule (Wiederaufbau des ehemaligen Geburtshauses) eine Emil-von-Behring-Gedenkstätte an ihn.
Julia Langenberg


  1. Für die freundliche Unterstützung dieses Artikels danke ich Dr. Ulrike Enke und Dr. Kornelia Grundmann, Forschungsstelle Emil-von-Behring der Philipps-Universität Marburg, und Karin Stichnothe-Botschafter, Kulturamt der Stadt Marburg.
  2. Brocke, Marburg im Kaiserreich, S. 367. Die Letalität bei Diphtherie war sehr hoch (80 Prozent). Vgl. Vasold, Grippe, Pest und Cholera, S. 196.
  3. Hüntelmann, Paul Ehrlich, S. 102; Throm, Das Diphtherieserum, Tab. 1.1, S. 204; Vasold, Grippe, Pest und Cholera, S. 198.
  4. Eckart, Medizin und Krieg, S. 175.
  5. 1902 hatte Behring Differenzen mit dem Produktionsleiter der Farbwerke Hoechst, Arnold Libbertz. Friedrich, Die Anfänge der Behringwerke, S. 91.
  6. Der Aufruf wurde am 4. Oktober 1914 veröffentlicht. Ungern-Sternberg, Der Aufruf „An die Kulturwelt!“, auf S. 145 ist die Unterschrift Behrings dokumentiert. Vgl. Sieg, Ulrich: Professoren im Propagandakrieg, S. 30-33, hier S. 32.
  7. Brief des Oberbürgermeisters Paul Troje an Emil von Behring vom 1.9.1914. In: Behring-Nachlass digital, http://www.uni-marburg.de/fb20/evbb/behring-digital/datenbank/recherche, Sig. EvB/L194/4 und Brief von der Sparkasse und Leihbank der Stadt Marburg an die Reichsbanknebenstelle Marburg vom 28.12.1914, ebd. Sig. EvB/L194/5.
  8. Brief Emil von Behrings an Theodor von der Decken vom 26.9.1914. In: Behring-Nachlass digital, http://www.uni-marburg.de/behring-digital, Sig. EvB/B31/2.
  9. Die Höhe der Kriegsanleihe der Behringwerke wird am 22.09.1915 mit 500.000 Mark angegeben (Brief von Carl Siebert an Carl Cremer, Sig. EvB/B192/297); am 18.2.1916 dagegen werden 600.000 Mark genannt. (Brief von Herrmann Kühlke an Carl Siebert. In: Behring-Nachlass digital, http://www.uni-marburg.de/fb20/evbb/behring-digital/datenbank/recherche), Sig. 192/390).
  10. Bartmann, Zwischen Tradition und Fortschritt , S. 48. Bartmann nennt für diesen Begriff vor allem die Zeit vor 1914. Ebd., S. 79. Vgl. Schmitz, Ist Deutschland noch die Apotheke der Welt? Schmitz verortet den Begriff dagegen besonders in die späten „zwanziger und frühen dreißiger Jahre [des 20. Jh., J. L.]“. Ebd. S. 1599.
  11. Die leitenden Mitarbeiter der Behringwerke waren über diese Vorgänge informiert, wurden nach 1945 jedoch nicht dafür verurteilt. Grundmann, Kap. 4.5: Institutionelle und personelle Verflechtungen mit den Behringwerken, S. 644 f.
  12. Brief von Emil von Behring an Erich Wernicke vom 22. März 1899 aus Capri, In: Behring-Nachlass digital, http://www.uni-marburg.de/fb20/evbb/behring-digital/datenbank/recherche, Sig. EvB B1/255.
  13. Brocke, Marburg im Kaiserreich 1866 – 1918, S. 521.
  14. Stichnothe-Botschafter, Emil von Behring – auf Spurensuche in der Universitätsstadt Marburg, S. 1541Die Höhe der Kriegsanleihe der Behringwerke wird am 22.09.1915 mit 500.000,-- Mark angegeben (Brief von Carl Siebert an Carl Cremer, Sig. EvB/B192/297); am 18.2.1916 dagegen werden 600.000 Mark genannt. (Brief von Herrmann Kühlke an Carl Siebert. In: Behring-Nachlass digital, http://www.uni-marburg.de/fb20/evbb/behring-digital/datenbank/recherche), Sig. 192/390).
  15. Brocke: Marburg im Kaiserreich 1866–1918, S. 467 f.